Stadtprozelten am Spessart

Stadtprozelten: die Hauptstraße

Die Häuserzeile im Bild unten steht unmittelbar gegenüber dem vorbildlich sanierten Rathaus. Dadurch wird der Kontrast zwischen heruntergekommen und frisch saniert besonders augenfällig.

Von oben sieht das ganze dann so aus.

Selbstverständlich gibt es auch vorbildlich restaurierte Häuser, vor allem das alte Rathaus.

Die Probleme von Stadtprozelten

Auf dem Bild oben sieht man die wesentlichen Probleme von Stadtprozelten:

1) Es fehte schon immer an Platz. Für die Burg war die Lage auf einem steilen Bergsporn nahe am Main ideal. Die Stadt darunter Stadtprozelten war eingeengt durch Burgberg, Main und Stadtmauer, später dann durch den hochwassersicheren Bahndamm.

Stadtprozelten, Hochwassermarken am alten Rathaus
Stadtprozelten, Hochwassermarken am alten Rathaus

2) Es fehlt ein wirksamer Hochwasserschutz. Wie hoch der Main hier steigen kann, zeigen die Marken am alten Rathaus (siehe Bild)

3) Es fehlt eine Umgehungsstraße. Der gesamte Verkehr fließt durch die Hauptstraße. Dadurch leidet die Wohnqualität dort immens. Viele Häuser sind leider in einem schlechten Zustand bzw. stehen leer.
2017 stimmten die Bürger mit 3 Stimmen Mehrheit für eine Umgehungsstraße mit Hochwasserschutz. Die Umgehung kommt also, fragt sich nur, wann. Inzwischen gibt es ein Video, das über die geplante Umgehungsstraße von Stadtprozelten samt Hochwasserschutz informiert.

Rothenfels am Main war in einer ganz ähnlichen Situation. Dort ist heute der Bahnverkehr eingestellt. Auf dem ehemaligen Bahndamm konnte eine großzügige Umgehungsstraße gebaut werden. Seitdem wurden die meisten Häuser saniert und auch wieder bewohnt.

Freudenberg – in der gleichen Situation – hat sich gegen eine Umgehungsstraße entschieden. Die Mainpromenade ist geprägt von einem massiven Hochwasserschutzwall. Wirklich natürlich ist das Mainufer da nicht, aber immerhin schön ausgebaut. Und die Hauptstraße leidet unter dem Verkehr.

Handel und Gewerbe verschwinden

Ansonsten zeigen sich in Stadtprozelten die gleichen Entwicklungen wie in vielen anderen Kleinstädten: Der Einzelhandel kann nicht mit den Märkten am Ortsrand mithalten, er gibt auf. Die Handwerker brauchen mehr Platz und ziehen ins Gewerbegebiet. Und die Bewohner träumen von einem freistehenden Einfamilienhaus in ruhiger sonniger Lage. Die Folgen begegnen einem auf Schritt und Tritt:

Und warum ist der Niedergang so deutlich sichtbar? Weil der Durchgangsverkehr unmittelbar an den Häusern vorbeirollt und hier niemand investieren mag.

Dichteste Bebauung an der Bergseite

Auf der Bergseite war der Platzmangel so groß, dass man mehrere Häuser hintereinander gebaut hat. Je weiter von der Hauptstraße entfernt, desto kleiner und einfacher sind die Häuser. Einziger Zugang sind auch heute noch schmale Gassen und steile Treppen. Es handelt sich dabei um öffentliche Wege, nicht um private Hauszugänge.

In Rothenfels werden solche kleinen alten Häuser von Leuten aus dem Raum Frankfurs saniert und als Wochenendhäuser benutzt. Vielleicht kommt nach dem Bau der Umgehungsstraße in Stadtprozelten eine ähnliche Entwicklung in Gang.

Hinter bzw. oberhalb der letzten Häuser sind dann noch terrassenförmig Gärten angelegt. Betreten werden können sie durch eine Tür im Spitzgiebel des darunterliegenden Hauses.

Steinbrüche um Stadtprozelten

Eingerahmt wird Stadtprozelten von aufgelassenen Steinbrüchen. Einer davon (gegenüber Norma) ist für Kletterer präpariert worden. Wenn der dort wohnende Wanderfalke brütet (1. 3. bis 31. 7.), kann er nicht benutzt werden. Ansonsten ist die Benutzung kostenlos.

Auf dem rechten Bild sieht man sehr schön die Klüfte, die das Gestein durchziehen. Sie lassen Oberflächenwasser leicht versickern. Daher gibt es im Spessart keine natürlichen Seen.

Auf der anderen, mainaufwärts gelegenen Seite von Stadtprozelten kann man noch Reste der alten Abbautechnik erkennen: Die anstehende Wand wurde unterhöhlt. Dann wurden die Stützen weggesprengt und die ganze Wand stürzte zu Boden. Die Kleingärtner heute haben großes Vertrauen, dass die Wand hält.


Die Henneburg

Oberhalb von Stadtprozelten liegt die absolut sehenswerte Henneburg.

Stadtprozelten im Physikatsbericht 1858

Im Jahr 1858 bekam der Amtsarzt des Landgerichtsbezirkes Stadtprozelten, Dr. Ludwig Döring, den Auftrag, seinen Bezirk umfassend zu beschreiben. Dieser Bericht ist heute noch vorhanden und bietet interessante Einblicke in das Leben um 1860. Im folgenden wird ein kleiner Teil dieses Textes wiedergegeben. Die Zwischenüberschriften und Überleitungen / Erläuterungen wurden von mir eingefügt. Die altertümliche Schreibweise habe ich belassen.

Generell ist zu sagen, dass Herr Dr. Döring seinen Amtsbezirk Stadtprozelten recht positiv sieht. Er fühlt sich dort offensichtlich wohl. Mit seinem Gehalt von 600 fl (Gulden) musste er eine Frau und 4 Kinder finanzieren. Zum Vergleich: ein Taglöhner im Steinbruch konnte pro Tag einen Gulden verdienen. Das Gehalt war also nicht üppig, aber auskömmlich.

Er untereilt seinen Amtsbezirk in 2 Regionen: Das Maintal mit seinem Amtssitz Stadtprozelten, wo durch Gewerbe und Handel ein gewisser Wohlstand herrscht. Dann das Bergland, wo es dank einer mancherorts vorhandenen fruchtbaren Lössauflage ausgesprochen reiche Bauern gab. Eine Sonderstellung unter den Bergorten nahm Altenbuch ein, wo es auch echte Armut gab. Hier soll es nur um die Mainorte im allgemeinen und Stadtprozelten im besonderen gehen.

Stadtprozelten: Gesunde, kultivierte, gesellige und intelligente Bewohner

Schlankere Figur, im allgemeinen gracilerer Körperbau, bei doch kräftiger Muskulatur und bei ganz gesundem Aussehen, grosse körperliche Gewandheit, großer Raschheit in allen Bewegungen, Anstelligkeit zu Allem, zeichnen die Bewohner der Main- und Weinorte aus.

Große Geselligkeit im Umgange, Höflichkeit, ja Feinheit im Benehmen, eine gewisse attische Urbanität, Gewandheit im Geschäftsleben, rege Theilnahme an allen politischen Verhältnissen des engeren und weiteren Vaterlandes, richtige Würdigung aller Verhältnisse, besonders im geschäftlichen Leben, Fertigkeit im Schreiben, Lesen und besonders Rechnen kennzeichnet die Bewohner Stadt-, Dorfprozeltens, Fechenbachs, Reistenhaußens, theilweise Faulbachs.

Der ausgebreitete Holzhandel sowie die reiche Ausbeute und Verführung der bekannten bunten Sandsteine bringt einen großen Theil der jungen Leute und der Familienväter mit der Außenwelt, namentlich den Bewohnern von Aschaffenburg, Hanau, Offenbach, Mainz in häufigste Berührung und der Einfluß dieses regen Verkehrs mit genannten Städten wirkt auf das Vortheilhafteste auf die Entwicklung und Weiterbildung der intellectuellen Kräfte ein.

Die Bewohner der unteren Mainorte des Bezirkes steht sonach, meinem Urtheile nach, auf der höchsten Stufe der Intelligenz.

Essen und Kleidung der Maintalbewohner um Stadtprozelten

In den unteren Mainorten, deren Bewohner Jahr aus Jahr ein mit denen der Städte des unteren Maines in Berührung kommen – wie zu allermeist Schiffer, Holzhändler, Steinhauer- findet kein Unterschied zwischen der städtischen Nahrungsweise statt. Auf den Schiffen wird jeden Tag Fleisch gekocht, dem als Zugemüse die unentbehrliche Kartoffel, nebst Brodsuppe zugesellt ist. Zum Getränke dient Apfel wein. Zu Hauße wird in jeder Familie Kaffe mit Brod oder häufiger Semmel als Frühstück genommen – des Mittags Suppe, Gemüse und Fleisch, des Freitags eine Mehlspeise mit Dürrobst, mit Fischen, mit Salat – des Abends der Rest des Mittagessens, oder im Somme Gurken – Bohnensalat, Häuptlingssalat mit Fleisch, Wurst, Pfannkuchen etc.
In den Zwischenräumen ist das Roggenbrod, pur, oder mit Fleisch, Wurst, Schwartenmagen, die gewöhnliche Nahrung. Zum Getränke dient Bier, Wein, Obstwein, welche Flüssigkeiten meistens in den Wirthshäußem genommen werden, da diesen Bewohnern eine große Geselligkeit innewohnt, und Wirthshausbesuch stereotyp ist, wo die Zeitungen gelesen, getrunken, über die Geschäfte geplaudert und politisirt wird. In diesem Districte überwiegt die animalische Nahrung bei weitem die vegetabilische.

In der Weise der Körperbekleidung der Bewohner beiderlei Geschlechts begegnen wir einer großen Manichfaltigkeit. Die Nähe Marktheidenfelds und des bedeutenderen Wertheims, der lebhafte Verkehr der unteren Mainorte mit den größeren Städten des Untermains bis nach Mainz hin, hat sämmtliche Bewohner, besonders weiblichen Geschlechtes, längst mit allen Stoffen und mit allen Moden bekannt gemacht, wie sie jeder Tag gebiert. Durchgängig drängt sich die Beobachtung auf, daß alle vornehmen Bewohner des Bezirkes, insbesondere weiblichen Geschlechtes, und hauptsächlich in den Mainorten, alle Schiffleute, Steinhauer, Gewerbsleute u. Gesellen, eine durchaus städtische Kleidung tragen, die sich an Werk- und Sonntagen in Mode und Stoffen in Nichts von jener der Städter unterscheidet. Crinolinen, bei Frauen wie Jungfrauen längst eingebürgert, haben sogar bei den Dienstmädchen Eingang gefunden, und wo die Mittel zu einer solchen nicht ausreichen, muß doch zum Mindesten ein Stahlreif den Unterrock aufblähen.

Erwerbsmöglichkeiten im Maintal um Stadtprozelten im Jahr 1860

Gewerbe: Verarbeitung von Sandstein:

… Dieser Sandstein liefert uns das überaus werthvolle Baumaterial, mit dessen Zutageförderung hunderte von Händen beschäftiget sind und welches weit über die Grenze des Bezirkes seine Versendung findet.

Handel mit Holz, Sandstein und landwirtschaftlichen Produkten

In erster Reihe steht der Handel mit Holz der verschiedensten Sortimente in die Städte des Untermains, Aschaffenburg, Hanau, Offenbach, Frankfurt, ja Mainz. Es werden dahin zu Schiffe verführt: Buchenholz, gewöhnlich erster Klasse, weniger Eichenholz, meistens als Taubholz, Tannenholz und tausende von buchemen und tannenen Wellchen, sogen. „Kaffer“ ferner viele Holzkohlen, welche die Bewohner der Spessartorte im Sommer brennen und an hiesige etc. Schiffleute alsdann verkaufen, und eine grosse Menge Faßreife, meistens eine Winterarbeit der Bergbewohner, die wie die Holzkohlen an Schiffleute verkauft und weiter verführt werden.

In zweite Reihe tritt der Handel mit den bunten Sandsteinen, Sandsteinplatten, Thür- Fenstergesimsen, Treppen u.s.w. mit deren Verführung zu Wasser sich eine Menge von Schiffleuten beschäftigen.

In obstreichen Jahren werden tausende von Butten Aepfeln, Birnen und Zwetschgen zu Wasser nach Frankfurt verkauft und verladen, und die edle Rebe an den gesegneten Abhängen der Spessarter Ausläufer liefert ihren köstlichen Saft weithin in fremde Gauen und wird auch innerhalb des Districts damit ein lebhafteer Handel getrieben.

Der aus diesem ganzen Handel hervorgehende Gewinn muß ein bedeutender sein, denn es nähren sich hunderte von Familien von demselben und gelangen zu Wohlstand, ja Reichthum.

Armut muss nicht sein

Conscribirte Arme sind verhältnißmäßig nicht viel vorhanden; wer arbeiten will, ist wohl im Stande, sein Brod zu verdienen. Tagelöhner sind im Bezirke nur schwer zu requiriren und werden theuer bezahlt. So z.B. kostet hier ein Tagelöhner 48 Kreuzer bis 1 Gulden des Tags. In den Steinbrüchen verdient sich ein solcher des Tags 1 Gulden und darüber. Aber trotz dieser überaus guten Verdienste bringen es die Reistenhäußer Tagelöhner doch zu Nichts; denn des Sonn- und Feiertags wird das Meiste wieder in den Wirthshäußern verzehrt, wie schon oben angedeutet worden.

Ein merkwürdiger Brauch in Stadtprozelten

Noch erwähne ich eines eigenthümlichen Vergnügens der lieben Jugend beiderlei Geschlechts in hießigem Orte.

Am 21 März jeden Jahres, Mittags 12 Uhr zieht die ganze Jugend beiderlei Geschlechtes durch die einzige Straße des Städtchens. An der Spitze der Schaar geht ein Knabe eine Strohfigur tragend, welche mit einem alten runden Hute, einem Rocke und Hosen etc. angethan ist, und dieselbe, gleich einer Fahne hochhaltend. Die ganze Jugend ruft in einem fort: „Hoi – o – todta Moo – (mit Nasenlauten) (Seht den todten Mann). Am Ende des Ortes, gegen Faulbach zu, bleibt der Haufe stehn und der Träger der Figur eilt mit derselben dem Main zu, dieselbe hineinwerfend, worauf die ganze Schaar, heimkehrend, von den Fenstern aus mit dürren Zwetschgen, Hutzeln, Nüssen, Pfeffernüssen etc. regalirt wird, wobei es viel Spaß und genug Purzelbäume absetzt.

Die Bedeutung dieser Ceremonie wissen die Bewohner selbst nicht anzugeben.

Den vollständigen Bericht finden Sie in Reder/Selheim/Weiss „Der Landkreis Miltenberg um 1860″. Von dort stammen auch die obigen Auszüge.

Kulturwege des Spessartprojektes: –

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In der Nähe: Die Kollenburg, Wertheim, Miltenberg

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